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Neue Medien - Sachbuch

Horx, Tristan

Sinnmaximierung. Wie wir in Zukunft arbeiten.

Die Welt in groben Zügen

Zukunfts“forscher“ projizieren heutige Trends in die Zukunft und müssen ihre Prognosen verkaufen, am besten mit eingängigen Begriffen. Horx geht davon aus, dass Arbeit mehr sein soll als der Tausch von Lebenszeit gegen Geld und beobachtet gleichzeitig, dass Arbeitskräftemangel, Umweltzerstörung, ungleiche Kapitalverteilung, strenge Hierarchien, Gewinnmaximierungsdruck usw. herrschen. Ein Gegenkonzept ist „sinngetragene“ Arbeit, also Selbstwirksamkeit und Wirksamkeit für die Gesellschaft erleben können, Transparenz in der Firma, Homeoffice, 32-Stunden-Woche, Anerkennung durch gerechteres Gehalt, Nachhaltigkeit, Grundeinkommen usw. Das ist teils bekannt und wird wiederholt argumentiert.
Leider ist das Buch aber über weite Strecken ein Werbetext mit apodiktischen Aussagen: „Die Welt von morgen wird eine wunderbare sein, denn Sinn schlägt Zwang.“, „Geld, Macht, Status verleihen per se keinen Sinn.“ Und auch das eine oder andere „Fuck“ ist verzichtbar. Problemen, wie dass Roboter und Computer keine Steuern und Sozialabgaben bezahlen, wird eher ausgewichen (denn „Technologie erzeugt immensen Wohlstand“), immerhin das Grundeinkommen könne durch eine Finanztransaktionssteuer ermöglicht werden.
Unfertiger Eindruck, Kraut und Rüben. Verzichtbar.

Rezension von German Brandstötter auf https://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html

Aro: Putins Armee der Trolle

Aro, Jessikka

Putins Armee der Trolle. Der Informationskrieg des Kreml gegen die demokratische Welt

Gelenkte Massen

Wir erleben aktuell nicht nur einen medial vermittelten Krieg mit, sondern können auch live die konträren Berichte über Ereignisse verfolgen (Pipelines durch russisches Militär oder amerikanischen Geheimdienst gesprengt; eine Stadt aus Sicherheitsgründen evakuiert oder eingenommen; gefolterte Leichen hinterlassen oder vom Gegner platziert…). Russische Desinformation ist spätestens bekannt seit dem Brexit, der Trump-Wahl, der Gelbwesten-Radikalisierung usw. Aro vollzieht nach, wie seit etwa 10 Jahren die Ukraine als „Ziel“ für die russische Invasion vorbereitet wurde, schildert an Einzelschicksalen das Ziel, Kritiker weltweit mundtot machen zu wollen und stellt breit ihr persönliches Schicksal als Opfer mehrerer konzertierter Hetzkampagnen dar. Sie nennt Methoden der Entmenschlichung des Feindes, Manipulation, Anschuldigung, Denunziation, Unterstellung, Desavouierung, auch Unterstützung extremistischer Gruppen u.a.
Anders als der Titel verheißt, geht es nicht nur um sozialmediale Trolle gegen die Demokratie, sondern recht allgemein um politische und wirtschaftliche Einflussnahme v.a. des FSB (Nachfolger des KGB), um „Putins“ Kapital zu schützen (Geld, Öl, Gas, Einflussgebiete).
Vieles ist schon bekannt; leichte „blinde Flecken“ bestehen dem „westlichen“ Standpunkt gegenüber, dass WikiLeaks, Manning und Snowden den Geheimdiensten schadeten, und die beabsichtigten Folgen der Desinformation wie Politikverdrossenheit und Establishment autoritärer Personen werden kaum erörtert. Gut gemeint, aber wenig erhellend.

Rezension von German Brandstötter auf https://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html

Albig: Moralophobia

Albig, Jörg-Uwe

Moralophobia. Wie die Wut auf das Gute in die Welt kam

Wirklich: Angst vor dem Guten?!

Dieses kulturhistorische Nummernkabarett beginnt grundsätzlich: Es gehe nur noch um die Freiheit sich zu empören, um libertären Narzissmus – die naive Moral „Verletze niemanden, helfe soweit du kannst“ sei tot. Es gebe aber reale den zivilisatorischen Fortschritt Gewalt zu regulieren (u.a. durch das Gewaltmonopol des Staates) und den Gewaltbegriff auszuweiten (körperliche, verbale, sprachliche, naturausbeuterische, sexuelle usw. Gewalt). Dann geht es belletristisch weiter: Albig zählt historische Persönlichkeiten und wirtschaftliche sowie Ideenkonflikte kapitelweise auf, um die These zu illustrieren, dass „Gut“ gegen „Böse“ kämpfe. Man könnte natürlich auch sagen: alt gegen neu oder Geld gegen weniger Geld, aber das wird nicht diskutiert. Die Helden sind „Abgehängte“ (Götz v Berlichingen), Entlassene (Machiavelli), Abgestiegene (de Sade), Ausbeuter (Südstaaten gegen Nordamerika), Erfolglose (Nietzsche), Kriegsverlierer (Spott als Schamreaktion), Opportunisten (Ex-Nazis),  Kriminelle (Al Capone bzw. Donald Trump als Wildwestler).
Das Ganze ist etwas psychoanalyselastig (Alkohol als Regressionshilfe, die man in der Prohibition von Al Capone ersehnte?) und ohne wirkliche Interpretation, etwa, dass die antimoralischen Argumente immer gleich das Recht der Stärkeren (Natur) behaupteten, was real abnahm.
Unterhaltsam, gut geschrieben, teils lehrreich, aber Feuilleton.

Rezension von German Brandstötter auf https://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html

Daniel Dettling: Zukunftsintelligenz

Dettling, Daniel
Zukunftsintelligenz statt Zukunftsangst: menschliche Antworten auf die digitale Revolution

Jetzt ist auch schon die Zukunft digital

Die Themen, die sich der Autor vornimmt, formuliert er zunächst populistisch-verkürzend, fast schon satirisch: „Werden uns die Maschinen ersetzen? Können wir den Tod besiegen? Und was hält uns in Zukunft zusammen, wenn (…) wir von Daten kontrolliert werden?“
Den Chancen und Risken der informationstechnologischen Auswirkungen auf Arbeit, Gesundheit und Demokratie widmet sich Dettling dann aber eher dialektisch: Er stellt aktuelle und optimistische Szenarien einander gegenüber und macht in der Synthese viele politische Gestaltungsvorschläge.
Das digitalisierte Arbeiten mache die Menschen freier für „Werte, Qualität und Sinn“, gemeinnützige Arbeit, Weiterbildung, längeres Arbeitsleben; die Freigestellten sollten nach besteuerter digitaler Wertschöpfung sozialstaatlich unterstützt werden. Maschinen werden uns zum Teil ersetzen.
Digitale Wege der Gesundheitsversorgung und -vorsorge könnten das Altern verzögern, den Tod aber nicht abschaffen. Die Ursache der Demokratieschwäche liege nicht in der Digitalisierung, aber jener könne durch politische Regulierung und Partizipation begegnet werden.
Am Ende sichern sieben moralische Imperative gegen mögliche verbliebene Zukunftsängste ab.
Die analytischeren Strecken des Buches sind nachvollziehbar, aber immer wieder mit zeitgeistigen Phrasen durchsetzt, Einleitung und Abschluss stark motivationsseminarisch.
Eingeschränkt empfehlenswert.

Rezension von German Brandstötter auf https://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html

Dirk Brockmann: Im Wald vor lauter Bäumen

Brockmann, Dirk
Im Wald vor lauter Bäumen. Unsere Komplexe Welt besser verstehen

Was Systeme stabil und instabil macht

Brockmann ist theoretischer Physiker und Mathematiker, hat sich dann aber u.a. mit neuronalen Netzen, Augenbewegungen, Verkehrsströmen und Covid-Eindämmungsmaßnahmen beschäftigt. In diesem Buch möchte er das Feld der Komplexitätsforschung darstellen, was aber erst nach rund 60 Seiten ins Laufen kommt. Er zeigt, wie sich oszillierende Elemente synchronisieren (vom Sinusknoten des Herzens bis zum Zikadenzirpen) und dabei kritische Kipppunkte erreicht werden, mit denen sich vorher stabile System radikal ändern (evolutionäre Schritte, Pandemien). Er erklärt, wie es in Netzwerken zu natürlichen dichten Verknüpfungen kommt (Superspreader), dass kollektive „Entscheidungen“ auf einfachen Regeln und Beachtung der Nachbarn beruhen (Vogelschwärme, Meinungsbildung) und dass gekippte Systeme irreversibel verändert sind. Die Perspektive, dass Organismen seit Jahrmillionen symbiotisch sind (Menschen bestehen aus mindestens gleich vielen bakteriellen wie humanen Zellen), öffnet den Blick weiter auf Klimawechsel und notwendiges vernetztes Denken, um die Hybris des Menschen vielleicht zu überwinden.
Leicht fassliche und ohne mathematische Modelle auskommende Überblicksdarstellung.

Rezension von German Brandstötter auf https://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html

Valentin Groebner: Bin ich das?

Groebner, Valentin
Bin ich das? Eine kurze Geschichte der Selbstauskunft

Ich bin so toll!

Das Buch zeugt von einem gewissen Widerwillen, Auskunft über sich selbst zu geben, aber gleichzeitig vom Gefangensein im eigenen Käfig (immerhin ist diese Selbstbefragung ja entstanden während Homeoffice und Corona). Groebner widmet sich assoziativ den verschiedenen Spielarten der Ich-Behauptung, nicht als trockene Narzissmus-Forschung, sondern als ausschweifende Reflexion über Geschichte und aktuelle Auswüchse der Ich-Nennung: Schon in Beichte und Autobiografie, Psychoanalyse und kommunistischer Selbstkritik dient die Selbstoffenlegung immer einer Verbesserung vor Publikum. Das Phänomen der Influencer offenbart, dass der Kapitalismus den Konsum zur Steigerung der eigenen Attraktivität nützt. Wir lieben uns selbst und halten uns immer für besser, rufen nach Aufmerksamkeit und verbringen viel Zeit damit, uns vor den Spiegel zu stellen. Unsere Wünsche werden durch Konsum erfüllbar. Weiters führt Groebner Rückgriffe auf „Heimat“ und „Wir“ an, die eher Sehnsüchte oder Andersartigkeit im Blick haben als definierbare Inhalte. Auch die Liebe wird als Überstülpung des Ich auf jemanden analysiert und das Jammern als Verweis auf einen selbst. Am Ende plädiert er für etwas mehr Gelassenheit, weil „ich gewöhnlich nicht gemeint bin von dem, was ich sehe.“
Unterhaltsame Kulturwissenschaft.

Rezension von German Brandstötter auf https://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html

Bettina Ludwig: Unserer Zukunft auf der Spur

Ludwig, Bettina
Unserer Zukunft auf der Spur. Wer wir waren, wer wir sind, wer wir sein können.

Über den Überfluss hier und den Zwang zu teilen andernorts

Die Autorin forschte auf dem Gebiet der steinzeitlichen Jäger- und SammlerInnen aus der Perspektive der Kultur- und Sozialanthropologie. Aus diesem Blickwinkel versucht sie drei scheinbar unverbundene Gebiete, nämlich Wissenschaft, Kultur und Zeit zu verknüpfen. Das klingt anfangs recht künstlich und programmatisch, aber nach etwa einem Drittel des Buches erkennt auch der Rezensent, worauf sie hinaus will: Aus der Vergangenheit und ihren Spuren in der Gegenwart können wir Ziele für die Zukunft erfahren. Sie schildert und zeigt anhand der Jäger-SammlerInnen, wie kulturbestimmt Zeitbegriff, Eigentumsbegriff und Wirtschaftswesen sind, räumt mit tradierten Stereotypien über die von Natur aus kriegerischen, unkooperativen Menschen auf, bringt aus der rezenten Kapitalismuskritik bekannte Appelle (die Macht der Zeit überdenken, mehr gemeinschaftliche statt individualisierte (Computer-) Zeit, Konsum nur des Brauchbaren, Einflüsse ökonomischer Zwänge auf menschliches Verhalten bedenken).
Die Forschung Frau Ludwigs ist sicherlich spannend, das Buch zerfällt aber dadurch in Erfahrungsberichte einerseits und gesellschaftsvergleichende Diskussionen andererseits.
Bedingt anregend und empfehlenswert.

Rezension von German Brandstötter auf https://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html

Von der Pflicht

Precht, Richard David
Von der Pflicht
Eine Betrachtung

Goldmann, München, 2021
ISBN: 9783442316397

In der Bibliothek seit: 15.09.2021

Wie wir die Klimakatastrophe verhindern

Gates, Bill
Wie wir die Klimakatastrophe verhindern
Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind

Piper, München, 2021
ISBN: 9783492071000

In der Bibliothek seit: 12.08.2021

Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit

Nguyen-Kim, Mai Thi
Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit
Wahr, falsch, plausibel?

Droemer, München, 2021
ISBN: 9783426278222

In der Bibliothek seit: 12.08.2021