Edelbauer, Raphaela:
Die Inkommensurablen
„Die Plausibilität ist aus dem ganzen Universum herausgesaugt“
Ein Bauernknecht flüchtet Stunden vor dem ersten Weltkrieg nach Wien, trifft eine Mathematikerin und einen Adeligen, mit denen er durch die Wiener Unterwelt torkelt. Sie sind schablonenhafte Figuren, die mehr oder weniger illuminiert zu jeder Tages- und Nachtzeit Philosophie treiben und eine konstruierte, mittlerweile folkloristische, Szenerie durchlaufen: Wien, der vielstimmige Schnittpunkt von Ost und West, der Vielvölkerstaat, die Monarchie im Zerfall, erwachte Nationalismen, Blasmusik und Lesbierinnen, Adel, Militär und Psychoanalyse. Sie hoffen, dass der Krieg die verkrusteten Verhältnisse umstürzt und verwirklichen so trotz selbst wahrgenommener Einzigartigkeit den kollektiven „Ursumpf aus Trieben, Impulsen und Geschlechtlichkeit“. Denn das ist die thematische Metapher: Mathematisch inkommensurabel sind irrationale Zahlen, denen das gemeinsame Verhältnis, die Ratio, fehlt, und in der historischen Distanz auch das Verhältnis von individuellem und Massenwahn.
Es hätte eine interessante Meditation über Massenpsychose in der Coronazeit geworden sein können, aber so wie Edelbauer sich in den Vorgängerromanen übergroße Vorbilder und Themen auflädt, so kann sie auch hier das Thema nicht adäquat durchführen. Etwas abgeschmackt.
Rezension von German Brandstötter auf https://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html